Veränderungen erfordern Geduld und Sensibilität
Wie bricht man mit einer Tradition, die tief in der Kultur verankert ist und den Frauen schadet? Unsere Projektpartnerin vor Ort, Hebamme Nimcan Ahmed Mohamed, berichtet von Herausforderungen, Hoffnungen und ersten Erfolgen im Kampf gegen weibliche Genitalbeschneidung im ländlichen Äthiopien.
Nimcan Ahamed Mohamed, Sie arbeiteten über ein Jahrzehnt als Hebamme in ländlichen Gebieten Äthiopiens. Welche Rolle spielte weibliche Genitalbeschneidung (FGC) in Ihrer täglichen Arbeit?
FGC war ein zentraler Bestandteil meiner Arbeit, da die meisten Frauen, die ich als Hebamme betreute, beschnitten wurden. Diese Praxis verursacht zahlreiche Gesundheitsprobleme, von chronischen Infektionen und Nierenproblemen bis hin zu Komplikationen während der Geburt. Leider verstehen die meisten Frauen nicht, dass diese Probleme mit FGC zusammenhängen.
Welche spezifischen Herausforderungen begegneten Ihnen bei der Geburt von beschnittenen Frauen?
Die Narben und Gewebeveränderungen durch FGC erschweren den Geburtsprozess erheblich. Oft wird medizinisches Gerät wie ein Vakuum-Extraktor benötigt, der in ländlichen Gebieten selten verfügbar ist. Viele Frauen bleiben mit Geburtsverletzungen wie Fisteln zurück oder versterben gar, weil es an geeigneten Behandlungsmöglichkeiten fehlt.
Welche Haltung hat die Gesellschaft in Ihrem Arbeitsgebiet, dem Danod-Distrikt, gegenüber FGC?
Die Gesellschaft weiss grösstenteils, dass FGC keine religiöse Forderung ist, aber die kulturellen Traditionen sind tief verwurzelt. Viele Menschen sind abwehrend gegenüber Veränderungen, besonders Männer, die oft keine unbeschnittenen Frauen heiraten möchten.
Wie beeinflussen gesetzliche Regelungen gegen FGC die Situation vor Ort?
Die Regierung von Äthiopien hat FGC bereits 2004 gesetzlich verboten, und die Durchsetzung wurde in den letzten Jahren strenger. Allerdings fehlt oft ein sensibler Ansatz, etwa, indem die bei der Beschneidung anwesenden Frauen einfach verhaftet werden. Das Verbot hat zudem dazu geführt, dass Beschneidungen heimlich durchgeführt werden, was die Risiken für Mädchen erhöht.
Welche Ansätze verfolgen Sie, um die Haltung gegenüber FGC zu ändern?
Um die Praxis wirklich zu beenden, müssen wir die Menschen dazu bringen, die Gründe hinter der Tradition zu hinterfragen und alternative Wege zu finden. Veränderungen erfordern aber Geduld und Sensibilität.
Wie gehen Sie konkret vor, um Veränderungen anzustossen?
Wir arbeiten eng mit religiösen Führern und Ältesten zusammen, da sie grossen Einfluss auf die Gemeinschaft haben. Ich nutze oft Beispiele aus meiner eigenen Arbeit als Hebamme, um die gesundheitlichen Folgen von FGC verständlich zu machen. Auch ist es wichtig, das Gesundheitspersonal mit einzubeziehen, da sie an vorderster Front die Folgen von FGC erleben. Ausserdem unterstützen wir ehemalige Beschneiderinnen, indem wir ihnen zu alternativen Einkommensquellen verhelfen. Bildung und Sensibilisierung sind entscheidend, aber sie müssen langfristig und umfassend sein.
Gibt es bereits Erfolge, die Ihnen Hoffnung geben?
Ja, es gibt erste Erfolge. Einige Familien haben beschlossen, ihre Töchter nicht mehr beschneiden zu lassen, und Frauen sprechen offener über FGC und ihre Folgen. Auch unsere Arbeit mit ehemaligen Beschneiderinnen zeigt Wirkung – viele von ihnen haben begonnen, alternative Berufe auszuüben.
Titelbild: Gespräch mit Nimcan Ahmed Mohamed, von Keraro Health Post. Noemi Grossen / WHI
Zur Person
Die ehemalige Hebamme Nimcan Ahmed Mohamed, 30, arbeitet seit 2023 für unsere Partnerorganisation OWDA im Danod-Distrikt, Äthiopien. Ihre Expertise im Umgang mit den gesundheitlichen Folgen weiblicher Genitalbeschneidung (FGC) macht sie zu einer wichtigen Akteurin im Kampf gegen diese schädliche Praxis. Nimcan besucht regelmässig die lokalen Gemeinden, um Aufklärungsarbeit zu leisten und setzt sich für einen sensiblen und nachhaltigen Ansatz zur Abschaffung von FGC ein.
Say No: Gemeinsam gegen weibliche Genitalbeschneidung.
Das Projekt trägt zur Beseitigung aller Formen der weiblichen Genitalbeschneidung (FGC) in der Somali-Region von Äthiopien bei.